Die Glücksgrenze

In Schleswig-Holstein leben angeblich die zufriedensten Deutschen. Ihre Mecklenburger Nachbarn sollen am unglücklichsten sein. Eine Reise entlang des Glücks

Eine Reportage von Daniel Hinz, stern Magazin 37/2024

Das schneeweiße Hemd spannt, als Wassim Rahim die Kugel zwischen seine Fingerspitzen nimmt. Ein strenger Blick zur Seite. Das hier ist ernst. Rahims Handgelenk schwingt durch, er lässt die Kugel fallen, sie rollt los, der Kessel dreht sich. "Nichts geht mehr", ruft Rahim. Klick, klick, klack! Die schwarze 17. Roulette, das ist ein Spiel des Glücks. "Auch wenn da einige Spieler ihre eigenen Theorien haben", sagt er. Und Rahim, der Croupier, hält das Glück in der Hand. Oder eben das Unglück.

Mit dem Glück ist es ähnlich wie mit dem Spiel: Immer wieder glauben Soziologen, es anhand gewisser Faktoren berechnen und vermessen, ja vielleicht sogar vorhersagen zu können. Die Universität Freiburg bringt regelmäßig einen Glücksatlas heraus, finanziert von der Süddeutschen Klassenlotterie. Das Unternehmen lebt vom Glücksspiel und ist daher verständlicherweise interessiert, das Glück zu sezieren. Für diese Landkarte jedenfalls werden regelmäßig über 11 000 Deutsche ab 16 Jahren nach ihrer Zufriedenheit in verschiedenen Bereichen gefragt. Die Skala reicht von 0 bis 10.

Zwar bleibt Glück subjektiv, aber jahrzehntelange Forschung liefert Daten. So viele, dass man ziemlich genau weiß, welches die wichtigsten Zutaten sind: eine sehr gute Gesundheit bringt +0,72 Punkte, regelmäßiges Treffen mit der Verwandtschaft +0,84. Wichtig ist außerdem ein erfülltes Arbeitsleben sowie ein zufriedenstellendes Einkommen. Abzüge gibt es, wenn zum Beispiel die Inflation bei zehn Prozent liegt, -0,04 Punkte. Oder die Coronapandemie wütet, -0,56 Punkte. Die Mehrheit der Befragten, knapp 55 Prozent, bewertet ihre Lebenszufriedenheit mit einer 7 oder 8.

Und aus alldem ergibt sich, die Forschung will es so, eine unsichtbare Trennung, ausgerechnet dort, wo früher der Eiserne Vorhang verlief. Eine Glücksgrenze, wenn man so will, ein Zufriedenheitszaun. Die Demarkation zwischen Frohsinn und Trübsal. Die Allerglücklichsten nämlich, sie leben in Schleswig-Holstein, Wert 7,21. Und die Unglücklichsten in Mecklenburg-Vorpommern, Wert 6,19. Der Norden, gleicher Breitengrad, ungleiche Zuversichtsverteilung. Weshalb nur sind die angeblich wortkargen Nordlichter so happy, die Ostseedeutschen direkt daneben aber unglücklich?

Um das nachzuvollziehen, muss man natürlich hinfahren. Nicht nach Vorpommern - die Mecklenburger, so kleinteilig lässt sich das Glück ausdifferenzieren, sind noch unglücklicher als die Vorpommern (5,98 versus 6,86). Die Reise geht an der 231 Kilometer langen Zickzackgrenze zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg entlang. Und sie beginnt dort, wo sich Glück und Unglück so nah sind wie vielleicht nirgendwo: im Casino in Lübeck, beim gut gelaunten Croupier Rahim. Der sich mitfreut, wenn seine Kunden gewinnen. Denn vom Trinkgeld hängt sein Einkommen ab, das hat lange Tradition in der Glücksspielbranche. Seit sieben Jahren arbeitet Rahim hier, davor schuftete er in einem Café. Aber jeder wisse, sagt Rahim, dass das kein Leben sei. Die Schichten, die Verantwortung, Gastro eben. Glück, für ihn wenigstens: im Casino zu stehen, mit geregelter Arbeitszeit, meist 18 bis 3 Uhr.

Für den stern reiste ich mit dem Fotografen Maximilian Gödecke fünf Tage lang die Glücksgrenze entlang. Vom Norden bis in den Süden Mecklenburgs und Schleswig-Holsteins.

Die ganze Reportage lesen: https://www.stern.de/auf-glueckssuche---und-wo-in-deutschland-man-es-findet-35032570.html